Ich habe gemerkt, dass noch mehr gravierende Irrtümer über Predictive Targeting kursieren, als zunächst angenommen und werde deshalb die Serie vom letzten Herbst fortsetzen.
Der neueste Irrtum lautet in etwa so: Weil mit Fragebögen keine Informationen in Echtzeit erhoben werden können, können Targeting-Systeme, die Fragebögen als Datenquelle nutzen, auch keine Echtzeit-Predictions machen.
Nun, damit werden zwei Prozesse in einen Topf geworfen, die tatsächlich getrennt voneinander ablaufen. Nämlich das Lernen einerseits und das Anwenden des Gelernten andererseits.
Bevor man anfangen kann Predictions auf bestimmte Zielgruppen zu machen, muss das System lernen, was die charakteristischen Merkmale dieser Zielgruppen sind: Was zeichnet z.B. einen Autointeressierten aus? Woran erkennt man ein bestimmtes Alter, Geschlecht oder ein hohes Haushaltseinkommen?
Um diese Fragen zu beantworten, werden auf Basis des Surf-Verhaltens einerseits und weiterer Datenquellen (wie z.B. Fragebögen) andererseits generelle Modelle gebildet, die die verschiedenen Zielgruppen beschreiben. Diese Modelle werden regelmäßig aktualisiert, weil sich das Angebot und das Nutzungsverhalten im Internet mit der Zeit ändern. Da sie aber unabhängig vom einzelnen User sind, werden die Modelle nicht in Echtzeit aktualisiert. Die Merkmale, an denen man Frauen erkennt, sind heute die gleichen wie gestern.
Ganz anders sieht es aus, wenn man einzelne User betrachtet. Jemand, der sich gestern noch für Autos interessiert hat, kann sich heute für Beauty&Care oder Home&Garden interessieren. Sogar innerhalb einer Session wechseln die Interessensschwerpunkte häufig. Deshalb muss das System in Echtzeit reagieren, entscheiden, welcher Zielgruppe der User angehört, und in Echtzeit die entsprechende Prediction ausliefern.
Die zwei Prozesse Modellbildung und die dynamische Anwendung des Modells in Echtzeit laufen also unabhängig voneinander ab. Die Frage, welche Datenquellen für die Modellbildung herangezogen werden (z. B. Fragebögen), sagt nichts über die Echtzeitfähigkeit eines Systems aus. Vielmehr ist es so, dass die Echtzeitfähigkeit inzwischen für jedes Predictive Targeting-System selbstverständlich ist.