7. Targeting goes AGOF
Je relevanter Targeting im Kampagnen-Alltag wird, desto wichtiger ist die Kompatibilität zu den etablierten Reichweiten-Studien. Bisher wurde dieser Punkt häufig sträflich vernachlässigt – von beiden Seiten wohlgemerkt. Wenn wir aber auf eine Situation zusteuern in der 20-30 % aller Kampagnen unter Nutzung von Targeting gebucht werden, stellt sich diese Frage mit aller Dringlichkeit. 2021 wird dies erstmals spürbar werden, denn Targeting verlässt die Nische und wird zum Normalfall im Mediaplanungsalltag. Die Kompatibilitätsfrage stellt sich vor allem in zwei Dimensionen:
a. Zielgruppen: standardisierte Zielgruppen im Targeting sollten weitgehend zu den gängigen Zielgruppen der Reichweiten-Systeme (wie z.B. AGOF internet facts in Deutschland) kompatibel sein. Stichwort “süße und salzige Snacks”… Hierfür wird es allerdings nicht genügen, die gleichen Beschriftungen zu verwenden – vielmehr ist eine tiefe Übereinstimmung bis hin zur Erhebungsmethodik und den Prinzipien der Hochrechnung usw. erforderlich. Der Mediaplaner muss das Gefühl haben, weitgehend die gleiche Zielgruppe, die er im AGOF-Tool plant, auch in einem Targeting-System buchen zu können.
b. Messgrößen: “5 Mio. Uniques mit 4 Durchschnittskontakten in der Zielgruppe” – sicherlich eine der häufigsten Anforderungen eines typischen Mediaplans. Für die Kompatibilität von Targeting- und Audience-Systemen steckt dahinter aber eine überaus knackige Anforderung, nämlich die gleichen Mess- und Zählverfahren (zumindest weitgehend) einzusetzen. Der Mediaplaner muss auch hinsichtlich dieser Messgrössen eine einfache Übersetzbarkeit zwischen den Systemen angeboten bekommen.
Später kommt auch noch die Aufnahme von Targeting-Kennziffern in die gängigen Audience-Measurement Systeme als Anforderung hinzu. Aber das ist Stufe II…
2021 werden wir für die ersten beiden Probleme erste Lösungen sehen und vermutlich wird ein spannender Dialog zwischen den Reichweitenwährungen und den Targeting-Systemen beginnen.
8. Advertiser verlangen Targeting
Targeting wurde bisher – bis auf wenige Ausnahmen – praktisch nur zwischen Vermarktern und Agenturen gespielt. Dies wird sich in 2021 nachhaltig ändern. Aufgeschreckt und wachgerüttelt durch die Krise, angefüttert durch Targeting-Bestrebungen der Agenturen selbst und nicht zuletzt aus ganz eigenem Interesse: Advertiser entdecken das Targeting für sich. In 2021 werden wir auf unterschiedlichen Ebenen Effekte sehen, indem Advertiser nach mehr Targeting verlangen als je zuvor. Es wird mehr Forderungen nach Leistungsnachweisen und Transparenz geben. Es wird immer mehr Versuche geben, spezifische Advertiser-Zielgruppen buchbar zu machen. Und vor allem wird es ein unumkehrbarer Trend sein. Ein Advertiser der einmal mit überzeugenden Leistungsnachweisen seine Zielgruppe direkt buchen konnte, wird keine andere Buchungsform mehr akzeptieren.
9. Standards etablieren sich, aber nicht „von oben“
Targeting ist derzeit zu kompliziert und zu heterogen umgesetzt. Ein und dieselbe Zielgruppendefiniton kann am Markt in 25 Varianten eingekauft werden, die nicht selten völlig unterschiedlich zustande gekommen sind. Dies ist unbefriedigend und behindert das Wachstum von Targeting erheblich. Also werden wir 2021 auch eine Konsolidierung der Targeting-Systeme und Mechaniken sehen. Allerdings wäre es falsch zu glauben, dass sich ein Standard über eine Marktvereinbarung z. B. der Vermarkter etablieren wird. Zudem ist fraglich, ob es wirklich nur ein einziger Standard sein wird. Vielmehr werden sich die besten und leistungsfähigsten Targeting-Systeme und Mechaniken als de-facto Standard durchsetzen. Diese Entwicklung wird in 2021 noch nicht zum Abschluss kommen – aber wesentliche Weichenstellungen sind zu erwarten. Neben der Leistungsfähigkeit (gemessen am realen Einsatz, also “welches Targeting-System wird am meisten gebucht?”)werden Kriterien wie Offenheit, Transparenz und Datenschutz dabei eine große Bedeutung haben.
10. Content-Targeting und Paid-Content erleben Revival – User zahlen für Relevanz
Was vielen nicht bewusst ist – Targeting-Systeme sind ursprünglich aus Systemen für Content-Personalisierung entstanden (siehe hier: Geschichte des Predictive Targetings). Und da 2021 auch das Jahr des Revivals von Paid Content sein wird, werden wir ebenso ein Revival von Content-Targeting aka “Personalisierung” sehen. Denn es wird nicht einfach sein, User dazu zu bewegen für bisher frei verfügbaren Content plötzlich zu zahlen – Relevanz-Filterung nach Interessen und intelligente Systeme, welche die Präferenzen des Users erlernen, werden dabei wieder eine wichtigere Rolle spielen. Anders als vor 10 Jahren können die Betreiber nun auf den Erfahrungsschatz und die Innovationen aus jahrelanger Relevanz-Filterung für Online-Werbung zurückgreifen. Insofern werden wir eine Verschmelzung von Targeting für Content und Werbung sehen. Wer relevantere Werbung für die richtigen Zielgruppen ausliefern kann, wird diese Möglichkeit auch zunehmend für die Aussteuerung von relevanterem Content nutzen – nicht nur im Zusammenhang mit Paid Content.
11. Targeting goes 2.0 – User übernehmen den Algorithmus
Eine Sache wird nicht in 2021 (noch nicht) passieren – aber die Anfänge werden unübersehbar sein: Mit dem Siegeszug von Facebook und Twitter wird eine epochale Wende in der Online-Industrie eingeleitet, die auch und gerade an den Targeting-Systemen nicht spurlos vorbeigehen wird. Der User übernimmt die Kontrolle.
Facebook ist eine riesige soziale Recommendation-Engine, ein Filter und Empfehlungs-System für Medien unterschiedlichster Art. User konsumieren über Ihre Twitter-Timeline eine Mixtur aus aktuellen Nachrichten, Produktempfehlungen, Neuigkeiten aus Ihrer Peergroup und erstklassigem Entertainment. Die Relevanz einer Produktempfehlung eines Freundes kann von keinem Targeting-Algorithmus geschlagen werden. Eine Coke-Werbung auf Spiegel-Online die nur Usern angezeigt wird, bei denen mindestens ein Freund Fan der Marke auf Facebook ist (derzeit sind dies 4.1 Mio User), wird mit Sicherheit exzellente Performance-Werte aufweisen.
Facebook hat zwar mit dem Beacon-Projekt schon einmal in einer Kombination aus visionärem Geist und Naivität vorgeführt, wie man dieses Potenzial nicht heben kann und sollte – allerdings ist das Thema damit längst noch nicht gestorben.
2021 wird in jedem Fall ein weiteres Jahr sein, in dem mehr Kontrolle über das Medium an die User geht – mehr als es je ein anderes Medium gesehen hat. Dies wird auch und gerade für Werbung langfristig von großer Bedeutung sein. Zum einen werden User immer anspruchsvoller was die Leistungsfähigkeit von Relevanzfiltern anbelangt. Zum anderen wird es immer selbstverständlicher werden, wieder mehr Empfehlungen anstelle von klassischer Werbung zu erhalten.
Die Herausforderung für die Targeting-Industrie besteht darin, sich diesen Entwicklungen zu öffnen und Ihre Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, ohne dabei die hohen Standards im Datenschutz zu untergraben.